Meine Vorbereitung auf eine Lesung
Ich war zu einer Lesung eingeladen. Tatsächlich war es meine allererste Lesung nach der mauen Corona-Zeit und dementsprechend musste ich mich vorbereiten. Dummerweise hatte ich auch noch nie eine Lesung besucht und wusste überhaupt nicht, wie so etwas abläuft.
1. Die richtige Stelle finden
Zum Glück hatte meine Veranstalterin genaue Vorstellungen, welches von meinen Büchern ich vorstellen sollte: Die Drachenland-Saga, Band 1, Die Eistrolle.
So wurde mir die Qual der Wahl abgenommen und das Buch stand fest. Nur: Welche Stellen eignen sich?
Intuitiv dachte ich an den Anfang des Buches, wo sich mein Protagonist Felix in einem schrecklichen Schlamassel befindet und man seinen schüchternen Charakter gut erkennen kann. Und dann noch eine richtig spannende Stelle, nämlich die, wo Felix ins Drachenland ‚gesaugt‘ wird …
Nachdem ich etwas im Internet recherchiert hatte, fand ich mich bestätigt:
Als gute Stellen zum Vorlesen eignen sich Szenen, die …
- den Charakter des Protagonisten oder die Welt gut zusammenfassen, und
- eine spannende Stelle, mit der man die Zuschauer neugierig machen kann (quasi als Cliffhanger),
- oder eine sprachlich besonders schöne Stelle im Buch.
Grundsätzlich finde ich es gut, wenn man mehr als eine Stelle vorliest. Ich fand es recht schwer, das ganze Buch auf zwei Szenen zu reduzieren, sodass die Zuschauer auch ein Gesamtbild des Buches entwickeln.
Der Text sollte natürlich so sein, dass die Zuhörer auch verstehen, um was es geht. Ich musste mich immer wieder daran erinnern, dass die meisten mein Buch nicht kennen und kein Vorwissen haben. Dementsprechend habe ich mich bemüht, Stellen herauszusuchen, die aus sich selbst heraus verständlich waren – oder die nur ein paar erklärende Worte benötigten.
Ich wollte unbedingt eine spannende Stelle mit einem Cliffhanger beenden. Diese sollte nach Möglichkeit als letztes kommen. Es bietet sich an, die Lesung mit den Worten zu beenden: „Und wenn Sie wissen wollen, wie sich die Hauptperson aus dieser misslichen Lage befreit, dann müssen Sie das Buch selbst zu Ende lesen.“
2. Den Text für die Lesung gut vorbereiten
Die Textstellen stehen nun fest. Jetzt musste ich entscheiden, ob ich direkt aus dem Buch vorlesen wollte. Dann müsste ich aber ein Buch haben, das ich nur für Lesungen benutze – es ist zumindest sinnvoll. Denn es erleichtert das Vorlesen, wenn man sich bestimmte Stellen markiert.
Mit Schrecken stellte ich fest, dass die einzige Ausgabe, die ich zuhause hatte, noch eine ältere war. Die Drachenland-Saga wurde ja inzwischen von einem Verlag entdeckt und neu verlegt – und ich hatte noch die alte BOD-Ausgabe! Meine Güte!
Also habe ich mir die beiden Stellen lieber ausgedruckt. Und zwar in einer großen Schriftgröße und mit Abstand dazwischen. Jetzt kann man sich Pausen, Betonungen und das Tempo markieren, wenn z.B. ein Satz schneller oder langsamer gesprochen werden soll.
Es gibt noch mehr Vorteile, wenn man sich den Text ausdruckt.
Umschreiben ist erlaubt!
Ich habe z.B. die erste Stelle ein wenig umgeschrieben. Das ist erlaubt! Ich habe Abschnitte gestrichen, die zwar im Buch relevant sind, aber für die Lesung eine umständliche Erklärung erfordern. Daraus resultierte, dass ich auch Schachtelsätze (die sind beim leise Lesen noch okay, aber in einer Lesung nicht optimal) gekürzt, Stolperwörter ersetzt oder und so manches Pronomen bzw. Namen ausgetauscht habe.
Keine Angst. Das hört sich jetzt gravierend an, aber ich garantiere, dass es niemand merken wird, wenn er/sie das Buch später kauft und liest.
Und noch ein Vorteil von ausgedruckten Blättern: Wenn die Hände zittern, kann man die Blätter vor sich hinlegen, die Ellenbogen aufstützen und mit dem Zeigefinger der Lesestelle folgen. Klappt gut.
Allerdings gibt es auch einen Nachteil mit den ausgedruckten Stellen. Ich persönlich finde, dass ein Buch in der Hand einfach schöner aussieht.
Einleitung, Überleitung, Schluss
Ich habe mir eine Einleitung überlegt … und dann am Tag der Lesung doch was ganz anderes gesagt. Ich wusste, die Moderatorin der Lesung wird mich und die anderen Autorinnen vorstellen. Es blieb mir also nur noch zu erzählen, was für Bücher ich sonst noch so schreibe und warum ich dieses Buch für die Lesung ausgewählt habe. Außerdem habe ich kurz den Inhalt angerissen, damit die Zuhörer das große Ganze im Blick haben und erklärt, warum ich ausgerechnet die folgende Szene vorlesen will.
Wichtig ist auch der Übergang zwischen den Szenen und dem Schluss. Zwischen den beiden Szenen, die ich ausgewählt habe, habe ich ein paar notwendige Dinge erklärt, um den Einstieg in den nächsten Text zu erleichtern. Das lockert auch die Atmosphäre auf und bietet den Zuschauern eine kurze Atempause, ehe sie sich auf die nächste spannende Stelle konzentrieren dürfen.
3. Üben
Ich habe mir aufgeschrieben, was ich sagen möchte und das so ziemlich auswendig gelernt. Überhaupt habe ich die Übergänge und den Text ziemlich häufig geübt, um einerseits ein Gefühl für die Zeit zu bekommen, die ich brauche, und andererseits natürlich, um möglichst lebendig sprechen zu können und nicht alles eintönig herunterzurasseln.
Darauf, mich selbst per Handy aufzunehmen, um in die Rolle des Zuhörers zu schlüpfen, habe ich verzichtet. Ich finde meine eigene Stimme echt gruselig.
Als Faustregel gilt: Wenn man glaubt, zu langsam zu lesen, ist es genau richtig.
Stattdessen habe ich mir eine(n) willige(n) Zuhörer(in) gesucht! Ich hatte meine 18jährige Tochter als Opfer auserkoren. Weil ich es besonders gut machen wollte, baute ich Spannungspausen ein und suchte Augenkontakt mit meinem Publikum, bis sie schließlich die Augen verdrehte und sagte: „Du liest viel zu lahm, ständig denkt man, es ist zu Ende.“ Solch ehrliche Kritik ist Gold wert.
Im Sitzen oder im Stehen lesen?
Bei der Vorbesprechung fragte uns die Moderatorin, ob wir in einem Sessel sitzen oder am Lesepult lesen wollten. Ich entschied mich für das Pult. Zuhause an meinem Schreibtisch habe ich einen höhenverstellbaren Schreibtischaufsatz für den Computer und ich kann mich im Stehen immer sehr viel besser konzentrieren als im Sitzen.
Aber das ist natürlich Geschmackssache. Dennoch, wenn man sehr aufgeregt ist, finde ich die Lesung im Stehen besser. Man kann seine Beine auf den Boden stemmen und für sicheren Halt sorgen. Die Blätter (oder das Buch) kann man auf dem Pult ablegen und die Ellenbogen auch. So zittern einem nicht die Hände und mit ihnen die Blätter oder das Buch.
4. Schau dir andere Lesungen an
Da ich noch nie die Gelegenheit ergriffen habe, live bei einer Lesung dabei zu sein, habe ich im Internet geschaut. Ich habe sehr viele aufgezeichnete Lesungen gefunden und beim Zusehen sehr viel gelernt.
Selbst bei Lesungen mit komplett anderem Genre konnte ich etwas mitnehmen. Ich habe mich gefragt, wie die Autorin es geschafft hat, mich in ihren Bann zu ziehen – war es ihre sympathische Art, mit den Fragen des Moderators oder des Publikums umzugehen? Hatte sie besonders lustige Überleitungen? Anekdoten auf Lager? Warum hat mich die Textstelle fasziniert?
Ich habe versucht, so viel wie möglich daraus zu lernen, aber natürlich bin ich – eben ich und niemand anderes. Ich habe beispielsweise eine Lesung von Kerstin Gier angeschaut – sie hat sehr viel gelacht dabei, was ich sympathisch fand. Aber meine Textstellen waren eher aufregend und spannend und nicht so sehr zum Lachen wie ihre … also habe ich es auch nicht getan.
Ich habe auch auf die Körperhaltung sowie Gestik und Mimik von erfahrenen Autorinnen geachtet und versucht, mir diese entspannte Haltung abzugucken, es wirkt einfach besser.
5. Zum Schluss
Irgendwo habe ich es gelesen: Das Publikum ist auf jeden Fall mein Freund! Sie freuen sich auf mich und mein Buch und sind auch mehr als bereit, Verhaspler oder kleine Fehler zu verzeihen. Diesen Gedanken fand ich schön und er hat mir viel Nervosität erspart.
Bei all dieser Vorbereitung konnte ja kaum noch etwas schiefgehen! Und so wurde es eine wirklich schöne Lesung, mit tollen Autorinnenkolleginnen (ups, richtig gegendert??) und einem super Publikum!